
Der Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) Tivozanib▼ (Fotivda®) des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor-Rezeptors (VEGFR) stellt eine wirksame und verträgliche Option in der Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem und/oder metastasiertem Nierenzellkarzinom (mRCC) dar [1, 2], vor allem bei günstiger mRCC-Prognose [3]. Aufgrund einer verbesserten Pharmakodynamik und –kinetik [2, 4] einer hohen VEGFR-Bindungsselektivität [4–6] und einem überlegenen Sicherheitsprofil im Vergleich zu anderen VEGFR-TKI [2, 7] eignet sich Tivozanib in besonderer Weise zur Behandlung multimorbider mRCC-Patienten, erklärten Experten im Rahmen eines Online-Seminars der EUSA Pharma GmbH [1]. Sie gaben zu bedenken, dass viele der meist älteren mRCC-Patienten bei der Erstdiagnose Komorbiditäten aufweisen – typischerweise in Kombination mit der Einnahme von Begleitmedikationen –, sodass bei der Therapiewahl Interaktionen mit anderen Arzneimitteln berücksichtigt werden müssen [1]. Tivozanib mit seinem günstigen Wechselwirkungs- und Nebenwirkungsprofil biete in dieser Hinsicht Vorteile gegenüber anderen VEGFR-TKI, so die Experten [1].
Patienten mit mRCC sollten leitliniengerecht gemäß ihres individuellen Risikoprofils mit einem VEGFR-TKI behandelt werden, falls vorab die Möglichkeit einer Kombinationstherapie mit einem Immuncheckpoint-Inhibitor (ICI) geprüft wurde [8, 9]. Allerdings weisen viele erstdiagnostizierte Patienten mit mRCC ein höheres Lebensalter auf, sind häufig multimorbid und nehmen entsprechende Begleitmedikamente ein.
Eine ICI-basierte Kombinationstherapie ist hierdurch häufig nicht indiziert und eine VEGFR-TKI-Monotherapie sollte patientenindividuell abgewogen werden [1].
„Der Komedikationsumfang für Begleiterkrankungen von Krebspatienten umfasst im Durchschnitt fünf Substanzen“, erklärte Prof. Axel Merseburger, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck. Jeder zweite onkologische Patient sei mindestens einer potenziellen Medikamenten-Wechselwirkung ausgesetzt, die in bis zu einem Drittel der Fälle eine Intervention oder intensive Überwachung erfordert. Komorbiditäten hätten bei Krebserkrankungen deshalb einen „erheblichen zusätzlichen Einfluss auf die Behandlung und Prognose der Patienten“ und könnten die Krebssterblichkeit erhöhen.
Multimorbide Patienten: Neben- und Wechselwirkungen minimieren
Falls eine ICI-Kombinationstherapie beispielsweise aufgrund einer vorliegenden Autoimmunerkrankung oder der Einnahme von Immunsuppressiva nicht infrage kommt, stehen verschiedene orale VEGFR-TKI, die in Abhängigkeit von der Patientenprognose (gemäß International Metastatic RCC Database Consortium [IMDCa]-Score) eingesetzt werden, als Behandlungsalternative zur Verfügung [8–11].
Bei der Wahl eines geeigneten VEGFR-TKI sollten die unterschiedlichen Wechsel- und Nebenwirkungsprofile der Medikamente beachtet werden [1]. „Gerade pharmakokinetische Interaktionen zwischen Arzneimitteln können die antitumorale Wirksamkeit einschränken und Nebenwirkungen sowie Toxizitäten verstärken“, warnte Hartmut Reinbold, Fachapotheker für Klinische Pharmazie. So können VEGFR-TKI arzneimittelinduzierte Klasseneffekte wie kardiovaskuläre oder gastrointestinale Nebenwirkungen, Leber- oder Schilddrüsenfunktionsstörungen sowie Haut-/Schleimhaut- oder Wundheilungsstörungen hervorrufen [2, 12–17]. Ursache seien laut Reinbold Interaktionen der VEGFR-TKI und/oder der Begleitmedikationen mit Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4), das rund 40 % der Arzneistoffe verstoffwechselt, oder anderen metabolisierenden Enzymen wie P-gP [18, 19].
Bei multimorbiden Patienten mit entsprechenden Komedikationen stellt das Interaktionspotenzial eines TKI somit eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Therapiewahl dar [1]. Reinbold und Merseburger plädierten unisono dafür, VEGFR-TKI entsprechend ihrer unterschiedlichen Wechsel- und Nebenwirkungsprofile patientenindividuell einzusetzen.
Tivozanib: Günstige pharmakologische Eigenschaften bieten Vorteile
Der VEGFR-TKI der dritten Generation Tivozanib, der für die Erstlinientherapie bei erwachsenen Patienten mit mRCC sowie für VEGFR- und mTOR-Inhibitor-naive Patienten bei Progress nach Zytokin-Therapie zugelassen ist [2], eigne sich laut Reinbold aufgrund seiner günstigen pharmakologischen Eigenschaften in besonderer Weise für die Therapie multimorbider mRCC-Patienten. „Das Risiko von Wechselwirkungen mit CYP3A4-Inhibitoren ist deutlich geringer als bei anderen TKI“, erklärte der Fachapotheker. Aus diesem Grund wird die Serumkonzentration von Tivozanib nicht durch gleichzeitig verabreichte CYP3A4-Hemmer beeinflusst [2, 20]. Tivozanib weist zudem unter allen VERGFR-TKI die höchste Bindungsselektivität zu den VEGFR-1 bis -3 auf [4–6]. Durch die spezifische Bindung an den Ziel-Rezeptor werden unerwünschte Off-Target-Effekte, die durch Interaktion eines TKI mit anderen zellulären Kinasen zustande kommen, minimiert [4]. Hierdurch erweist sich Tivozanib als besonders verträglich, wie eine jüngst durchgeführte Netzwerk-Metaanalyse zum Vergleich der Grad-3/4-Nebenwirkungen verschiedener VEGFR-TKI bestätigte [7]. Unter allen VEGFR-TKI wies Tivozanib das günstigste Verhältnis von Wirkung und Nebenwirkungen auf [7].
Dass die Behandlung mit VEGFR-TKI insbesondere bei Patienten mit günstiger Prognose wirksam ist, erkläre sich durch die ausgeprägte angiogenetische Tumorbiologie in diesem Stadium, erläuterte Merseburger. In der Zulassungsstudie TIVO-1 hatte sich unter Tivozanib im Vergleich zu Sorafenib bei Patienten mit guter Prognose gemäß Memorial Sloan Kettering Cancer Center (MSKCCb)-Score ein signifikanter Vorteil hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens (PFS) gezeigt (16,7 vs. 10,8 Monate; p = 0,018), der deutlich ausgeprägter war als in der Gesamtpopulation (11,9 vs. 9,1 Monate; p = 0,042) [3]. Aus diesem Grund empfehlen Leitlinien die Tivozanib-Monotherapie explizit für mRCC-Patienten mit günstigem oder intermediärem Risiko gemäß IMDC-Score [8, 9].
Gute Erfahrungen im klinischen Alltag
Dr. Andreas Janitzky, Universitätsklinikum Magdeburg, erläuterte anhand einer Kasuistik die Erfahrungen mit Tivozanib. Für eine 69-jährigen Patientin, bei der im Juni 2019 ein lokal fortgeschrittenes klarzelliges RCC (ccRCC) mit Filiae in beiden Lungenflügeln diagnostiziert worden war, kam eine ICI-Erstlinientherapie aufgrund einer Asthmaerkrankung nicht infrage.
Durch eine Tivozanib-Monotherapie wurde bei vorliegender Good-Risk-Konstellation eine vollständige pulmonale Remission und deutliche Größenregredienz des Primärtumors erzielt, die eine R0-Resektion ermöglichte. Nach Absetzen des TKI im Februar 2020 war die Patientin zunächst pulmonal und lokal tumorfrei, bis die Verlaufskontrolle im Mai 2021 eine größenprogrediente Metastase im rechten Lungenunterlappen bei persistierender Tumorfreiheit zeigte. Durch eine Keilresektion der Lunge im Juli 2021 konnte die Metastase vollständig entfernt werden. „Die Patientin ist bei postoperativ bestehender Metastasenfreiheit weiter ohne systemische Therapie und in sehr gutem Allgemeinzustand“, fasste Janitzky den aktuellen Status zusammen.
Schnelle Unterstützung bei der Therapieentscheidung
Um mRCC-Patienten die bestmögliche Behandlung bei größtmöglicher Sicherheit zukommen zu lassen, sollten potenzielle Arzneimittel-Interaktionen zwischen VEGFR-TKI und Begleitmedikationen frühzeitig erkannt und durch geschickte Wahl der Pharmaka vermieden werden. Die kostenlose App „Tivozanib Comedication Checker“ bietet dazu Unterstützung für den Praxisalltag an. Ärzte können mit der App schnell und bequem 180 Begleitsubstanzen aus 22 Indikationsbereichen auf mögliche Wechselwirkungen mit Tivozanib vor Therapiebeginnprüfen. Alternativ steht der Comedication Checker auch als händisch zu bedienende Interaktionsdrehscheibe zur Verfügung (www.tivozanib-comedication.com).
Literatur:
- WebUp der EUSA Pharma Germany GmbH am 9. November 2021: „Die Therapie des Nierenzellkarzinoms – Teil 2“
- Fachinformation Fotivda®. Stand: Januar 2021
- Motzer RJ et al. J Clin Oncol 2013; 31: 3791–99
- Fogli S et al. Review Cancer Treat Rev 2020; 84: 101966
- Bhargava P et al. Curr Oncol Rep 2011; 13: 103–11
- Vázquez Estévez S et al. Review Clin Transl Oncol 2020; 22(9): 1565–79
- Manz KM et al. Adv Ther 2020; 37(2): 730–44
- Bergmann L et al. Onkopedia Leitlinie „Nierenzellkarzinom (Hypernephrom)“. Stand: Mai 2020
- Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Nierenzellkarzinoms, Langversion 2.0, 2020, AWMF Registernummer: 043/017OL
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- Fachinformation Nexavar®. Stand: März 2021
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- Sinz M et al. AA PS J 2008; 10(2): 391–400
- Fowler S et al. AA PS J 2008; 10: 410–424
- Cotreau MM et al. Clin Pharmacol Drug Dev 2013; 3(2): 158–62
▼ Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer
Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer
Nebenwirkung zu melden. Hinweise zur Meldung von Nebenwirkungen, siehe Abschnitt 4.8 der Fachinformation.
Quelle: EUSA Pharma GmbH